MEINE TEXTPROBEN

Auszüge aus meinen Texten

für das Festspielhaus Baden-Baden, Juli 2023

Vogelstimmen und lustiger Krach, doppelt aufgelegt

Musik für Kinder: Was ist das?

Immer wieder haben erfolgreiche Komponisten Musik für Kinderohren und -hände geschrieben. Carl Reinecke, Zeitgenosse von Robert Schumann und Johannes Brahms, war so ein Fall. Der Musiklehrersohn hatte selbst neun Kinder und komponierte neben zahlreichen Kinderliedern und vier „richtigen“ Sinfonien auch eine Kindersinfonie. Aber was genau macht diese Musik zu einer Musik für Kinder?

Am besten ruft man sich zunächst einige Tatsachen ins Gedächtnis: Die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern ist kürzer als die von Erwachsenen, ihr Bewegungsdrang stärker, zudem nehmen sie vieles für bare Münze und bekommen schnell Angst. Man braucht also eine vorwiegend fröhliche, übersichtliche, Fantasie und Motorik anregende, nicht zu lange Musik, die auf Tuchfühlung geht mit der Erfahrungswelt des Kindes. Mit Tieren kommt man meistens weit, auch Kunststückchen und lustiger Krach stehen hoch im Kurs. Das schien auch Carl Reinecke gewusst zu haben: Seine kleine Sinfonie, komponiert für ein sehr überschaubares Ensemble, dauert nur eine Viertelstunde, ist einfach gehalten, aber nicht kunstlos. Reinecke verwendet schlichte Harmonien, einen klaren Aufbau und eine pointierte Rhythmik, die Kinder auch körperlich stimuliert. Komplexe Modulationen oder abstrakte Fugentechnik sind natürlich tabu! Seine Kindersinfonie ist so leicht ausführbar, dass sie von gewieften Kindern und Halbstarken gespielt werden kann – vorausgesetzt, es wird ordentlich geprobt, denn allzu leicht macht es der Komponist seiner Zielgruppe nicht. (...)

"nummer" - Zeitschrift für Kultur in Würzburg und anderswo (Sept. 2022)

In der apokalyptischen Achterbahn

Die Urban Art Biennale 2022 in der Völklinger Hütte

Für Fritz Langs monumentalen Stummfilm „Metropolis“ hätte sie die perfekte Kulisse abgegeben: die Völklinger Hütte. Was für eine charmante Verniedlichung für dieses Industriemonster, das einer apokalyptischen Achterbahn gleicht! Als einziges komplett erhaltenes Eisenwerk aus der Zeit um 1900 liegt die Hütte, heute Weltkulturerbe der UNESCO, im Saarland am Rand der bemerkenswert trostlosen Stadt Völklingen. Bis vor 35 Jahren wurde hier noch Eisen produziert, bis man endgültig vor der internationalen Konkurrenz in die Knie ging. Seit elf Jahren beherbergt die Hütte nun eine Urban Art Biennale, die es Anfang des Jahres bis in die Tageschau geschafft hat.

Schon ohne Kunst ist das spektakuläre Werksgelände mit seinem Labyrinth aus Röhren, Stahltreppen, Aufzügen und Schächten eine Zweitageskarte wert. Während der Biennale wird das gesamte Areal zum kongenialen Dialogpartner für Kunst, die sich aus Street Art und Graffiti entwickelt hat. (...) 

 
für Classix Kempten 2022, Internationales Festival der Kammermusik

Von Russland bis zum „Odenwälder Mozart“

Ein Gentleman fällt nicht mit der Tür ins Haus. Viele Komponisten, auch schon vor Johann Sebastian Bach, haben ihren Werken ein Präludium vorangestellt: ein Vorspiel. Dieses machte die Finger des Musikers und die Ohren des Publikums für Kommendes geschmeidig. Johann Sebastian Bachs weltberühmte Kombination aus Präludium und Fuge hat auch Dmitri Schostakowitsch inspiriert – in Kempten lässt der 19-Jährige seinem Präludium allerdings ein bissiges Scherzo folgen. Der gewichtige Beginn des Präludiums signalisiert, dass es den Charakter eines Vorspiels längst hinter sich gelassen hat. Mal gibt sich die Musik rätselhaft verhangen, mal scheint sie in spöttisches Gelächter auszubrechen. Als wilder Ritt gebärdet sich das Scherzo, das seinem Publikum eine wüste Fratze zieht und Schostakowitschs Begabung zu Ironie und sarkastischer Schärfe deutlich werden lässt. So vital und angriffslustig klingt es, als wolle der junge Russe die acht Streichinstrumente zum Bersten bringen. Wach dürften nun wohl alle sein … (...) 

 
Main-Post, 2018

Haut und Holz

Katrin Heyer und Markus Schmitt stellen in der BBK-Galerie im Kulturspeicher aus

Wenn an einem Sturmtag die Sonne durchbricht und Schattenrisse auf Wände und Boden wirft, ist es besonders schön hier. Die aktuelle Ausstellung „Haut und Holz“ profitiert von der Stille in der etwas abgeschiedenen BBK-Galerie im Kulturspeicher. Denn was im Gewühl der Vernissage unterging, tritt während der normalen Öffnungszeiten faszinierend zu Tage: Katrin Heyers Schwarzweiß-Fotografien und Markus Schmitts Holzskulpturen verbindet die Vorliebe für klare Formen und Linien, für Eleganz und schlichte Schönheit. Wer Üppigkeit und schrille Farben sucht, ist hier fehl am Platz. Die Werke beider Künstler sprechen eine leise, aber nachdrückliche Sprache, die sie in einen harmonischen Dialog treten lässt. Haut und Holz – beide lösen das Bedürfnis nach Berührung, nach essentiellem „Begreifen“ aus. (...) 

 
Aus einem Text zu "Greatest Hits" - Festival für zeitgenössische Musik 2018 der Elbphilharmonie Hamburg

Komplex oder unspielbar?

Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal, Do, 29.11.2018, Ensemble Resonanz

Wer eine Partitur von Brian Ferneyhough aufschlägt, dem tritt der kalte Schweiß auf die Stirn. Ihm wuchert schwarzes Notengestrüpp entgegen, ein Dickicht aus Zeichen, Pausen und verbalen Hinweisen auf Rhythmus, Lautstärke und Artikulation. Das Notenbild scheint hier zu einer eigenen Kunstform geworden zu sein. Der Komponist stellt an seine Interpreten spiel- und lesetechnisch höchste Anforderungen, die leicht zur Überforderung werden können. Geboren 1943 in England und heute in Kalifornien zu Hause, begründete Ferneyhough in den 1970er Jahren die sogenannte „New Complexity“ – auf deutsch trocken „Komplexismus“ genannt.

Was kann man sich darunter vorstellen?
Komplexistische Musik ist zunächst einmal atonal und dissonant. Sie setzt Spieltechniken ein, die über die traditionelle Spielweise der verwendeten Instrumente hinausgehen, etwa Klappengeräusche bei der Querflöte oder das Knacken der menschlichen Stimme („Glottisschlag“). Auch rhythmisch ist diese Musik so kompliziert, dass man sie akustisch und visuell kaum erfassen kann. Ferneyhough setzt unregelmäßige Rhythmen in ungewöhnlichen Verhältnissen zueinander oder legt gleich mehrere Rhythmusschichten übereinander. Typisch für ihn sind auch radikale Wechsel in Tempo, Lautstärke und Artikulation, die manchmal sogar von Note zu Note erfolgen. Ist seine Musik also unspielbar? Schießen seine Partituren übers Ziel hinaus? Darauf eine Antwort zu finden, ist nicht leicht (…)

"nummer" – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und anderswo (2016)

Von falschen Zähnen und schwulen Hexen

Otfried Preußlers Kindermärchen „Die Kleine Hexe“ amüsiert am Würzburger Mainfranken Theater

Mit Otfried Preußlers Kindermärchen „Die Kleine Hexe“ (Regie: Catja Baumann) bietet das Mainfranken Theater bis zum 6. Januar eine anrührende, zum Kreischen komische Produktion, die Jung und Alt gleichermaßen amüsieren dürfte. Besetzt mit einer blutjungen Schauspielertruppe, von Conni Brückner perückenverliebt und fantasievoll ausgestattet, wird hier die Geschichte der kleinen Hexe erzählt, die mit ihren 127 Jahren viel zu jung ist, um auf dem Blocksberg mitzutanzen. Also schleicht sie sich heimlich zur Feier – und wird erwischt.
Eine letzte Chance aber gibt es: Wenn sie sich bis zur nächsten Walpurgisnacht als „gute Hexe“ erweist, darf sie künftig mitfeiern. Doch was ist gut und was ist böse?

 
für das Festspielhaus Baden-Baden 2011

Wie bastelt man einen Ohrwurm?

Die Grundzutaten der Beethovenschen „Freudenmelodie“

Nicht nur die Schlager- und Popmusik-Branche macht sich zu Nutze, was das gute, alte Volkslied demonstriert: Im Gedächtnis bleibt, was leicht nachsingbar ist. Man nehme also eine Melodie mit überschaubarem Tonumfang und nur wenigen unbequemen Sprüngen, dazu einen einfachen Rhythmus und eine klare Gliederung – schon hat sie gute Chancen auf eine Karriere als Ohrwurm. Der Tonumfang vieler Volkslieder geht nicht über sechs bis acht Töne hinaus, manche kommen sogar mit einer bloßen Quinte aus, etwa das Lied „Winter, ade!“ oder „Wenn ich ein Vöglein wär“. Für die „Freudenmelodie“ im letzten Satz seiner 9. Sinfonie hat auch Beethoven auf diese Grundzutaten zurückgegriffen: ein Rhythmus, wie er einfacher nicht sein könnte, eine übersichtliche symmetrische Gliederung, ein Tonumfang von nur fünf Tönen – zumindest im ersten Abschnitt – , kinderleicht nachsingbare Sekundschritte und erst in der zweiten Melodiehälfte kleine Tonsprünge (…)

 
Aus einem Text für die Kasseler Musiktage 2012

Beethovens Feuersturm

Dieses sperrige, wenig schöne und ziemlich deutsche Wortgebilde erinnert an ebenso sperrige, wenig schöne Musiktheoriestunden. Was als Anhäufung von Begriffen ins Leben vieler Menschen tritt, birgt ein Universum an Gefühlen in sich, das sich nicht dadurch eröffnet zu wissen, dass der Kopfsatz einer klassischen Sonate dreiteilig ist und aus Exposition, Durchführung und Reprise besteht.

Wer sich dem Feuersturm der sechs letzten Klaviersonaten Ludwig van Beethovens aussetzt, dem fliegen keine Worthülsen um die Ohren, sondern eine geballte Ladung Zukunft: Schubert, Schumann, Chopin – all diese großen Komponisten späterer Zeiten und sogar die Atonalität des 20. Jahrhunderts schicken vorwitzig ihren Gruß voraus. Beethoven ist in dieser Schaffensphase trotz und auch wegen seiner fortschreitenden Schwerhörigkeit ein Pulverfass voller Ideen und klanglicher Utopien, das ununterbrochen überschäumt. Er demonstriert, welche Verrücktheiten man mit der Sache „Sonate“ anstellen, ja wie man sie vor Leben regelrecht explodieren lassen kann.

Beethoven ist mittlerweile Mitte 40, als er seine Sonate op. 90 schreibt. Sie stellt 1814/1815 den Übergang zu dem dar, was man heute sein Spätwerk nennt, und genau hier beginnt er, statt italienischer Vortragsbezeichnungen deutsche Wort-Bandwürmer über die Sätze zu schreiben: Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck heißt es da, bzw. Nicht zu geschwind und sehr singbar vorzutragen.
Er folgt mit seiner (nur vorübergehenden) Entscheidung fürs Deutsche einem patriotischen Impuls, will auf diese Weise aber auch seine musikalischen Absichten nuancierter ausdrücken – und das, was er sich folglich vom Interpreten erhofft. Zwar ist dieses Sprachphänomen im Prinzip eine Äußerlichkeit, unterstreicht aber den Individualismus, mit dem Beethoven seine letzten Sonaten in Angriff nimmt (…)

Aus einem Text zu "Greatest Hits" - Festival für zeitgenössische Musik 2017 der Elbphilharmonie Hamburg

Tempo Reale: Symphony Device

Sinfoniegerät? Sinfonievorrichtung? Oder gar ‚Mittel zur Sinfonie‘? Schon der Versuch, den englischen Titel dieser Performance ins Deutsche zu übersetzen, scheitert kläglich. Aber mit einer Sinfonie im traditionellen Sinn hat dieses „Teatro sonoro per dispositivi“ („Klangtheater für Geräte“) sowieso recht wenig zu tun. Entwickelt von Mitgliedern des Florentiner Musikforschungszentrum ‚Tempo Reale‘ und uraufgeführt auf der Biennale Musica 2016 in Venedig, vereint es elektrische Haushaltsgeräte zu einem klingenden „Geräteorchester“.

Neben rein klangerzeugenden Geräten spielen dabei auch audiovisuelle mit: Türme aus alten Röhrenfernsehern, die teils extra für die 50-minütige Aufführung repariert wurden, bilden die Kulisse beziehungsweise das Bühnenbild. Davor tummeln sich im Kabelsalat mehrere Standmixer, ein nostalgisches Telefon mit Wählscheibe und weitaus exotischere Gerätschaften, deren ursprünglicher Nutzungszweck sich nicht von selbst erklärt: Sind das Scanner, Kopierer, Mischpulte? Über die Bildschirme der Fernseher flimmern in Synchron-Choreografie Standbilder oder zitternde Querstreifen, diffus Bewegtes und Miniszenen wie der Flug eines Vogelschwarms, ein Raketenstart oder der Monolog eines Horrorclowns. Ein Staubsauger lässt gelbe Bänder in der Luft flattern – was leise raschelt, aber vor allem optisch gut wirkt. Ein altmodischer Nadeldrucker fiept synthetisch und feuert dazu kaltweiße Lichtsignale ab. Auch die vier Standmixer, befüllt mit pastellfarbenem Wasser, stimulieren Auge und Ohr zugleich. Und wie in einem echten Sinfonieorchester treten die Geräte von „Symphony Device“ immer wieder als Solisten auf (…)

Elbphilharmonie Hamburg/Kampnagel, Mi, 01. November 2017

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